Barfuß Laufen? Ja, natürlich!

von joohneschuh
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Das Interesse am natürlichen Laufen wächst auch in Deutschland. Auch Läufer, die sich nicht mit Leib und Seele dem Barfußlaufen verschrieben haben, probieren es aus, tauschen sich über ihre Erfahrungen aus und inspirieren andere. Zum Beispiel hier "Eiswürfelimschuh", hier "DocRunner" und hier "Barefoot Running Day 2012". Zeit, etwas über das Barfußlaufen zu erzählen und von eigenen Erfahrungen zu berichten, es gibt Leute, die sich dafür interessieren.

Wie bin ich nur auf so eine Idee gekommen?
Nein, ich habe nicht Born to Run gelesen und dann die Schuhe ausgezogen. Ich habe was über die Studie von Daniel Lieberman gelesen, in der "normale" Läufer mit geübten Barfußläufern verglichen wurden.

Filmaufnahmen von einem Barfußläufer aus Liebermans Labor

Mich hat fasziniert, dass es offenbar Leute gibt, die gewohnheitsmäßig barfuß laufen. Die gehen Joggen, so wie ich, aber ohne Schuhe? Ungefähr so gingen meine Gedanken weiter: "Ja logisch, das muss doch gehen, Menschen sind immer überall barfuß gerannt und tun es heute noch (bloß nicht bei uns). Schuhe gibt es doch noch gar nicht so lange. Wenn andere das können, dann will ich das auch können."

Im Grunde ist es dabei bis heute (1,5 Jahre und 1500 km später, 50:50 barfuß / in minimalistischen Schuhen) geblieben. Es stimmt einfach! Menschen können barfuß laufen, (fast) jeder kann das.

Ganz so einfach ist es natürlich nicht.

Lassen wir mal die erste Hürde, die Schamgrenze, weg. Ohne Schuhe fällt man auf und muss sich beim Laufen plötzlich positive wie negative Kommentare anhören, wo man früher gar nicht beachtet wurde. Damit lässt es sich aber leben.

Mit zwei anderen Schwierigkeiten hatte ich viel mehr Probleme, nämlich mit mangelnden körperlichen Voraussetzungen und eingeschliffenen Bewegungsmustern vom jahrzehntelangen Laufen in Schuhen. Muskeln, Sehnen und Bänder sind die sehr anderen Belastungen beim Barfußlaufen nicht gewöhnt. Zu schnell zu viel ohne Schuhe zu laufen führt zu bestimmten Überlastungserscheinungen, die ich stark unterschätzt habe. In meinem Fall war das eine sehr schmerzhafte Sehnenreizung oder Sehnenscheidenentzündung im Mittelfuß, auch bekannt unter dem Namen top of foot pain (TOFP). Die Konsequenzen daraus waren 2 Monate Zwangspause (kein Laufen) und eine ausführliche Internetrecherche über Barfußlaufen.

Die führte mich zur Barefoot Running University und zur Barefoot Runners Society, zwei sehr empfehlenswerte Quellen. In der Barefoot Runners Society geht es um natürliches Laufen mit und ohne Schuhe, wir haben eine deutsche Community (die BRS Deutschland, siehe hier und hier) und die nimmt langsam richtig Fahrt auf. Mehr dazu später.

Statt zu laufen habe ich über Barfußlauftechnik gelesen, was beim anschließenden allmählichen und supervorsichtigen Wiedereinstieg nicht gerade hilfreich war. Ganz einfache Hinweise reichen für den Anfang völlig aus. Hier wurde das z.B. gut umgesetzt. Wer zu viele gute Tipps gleichzeitig umsetzen will, kommt nur durcheinander.

Wer es für den Anfang noch einfacher haben will, hier mein Tipp: Lauf leise! Wenn du selbst deine Schritte nicht mehr hörst und Passanten sich erschrecken, weil sie dich von hinten nicht haben kommen hören, selbst Tiere im Wald nicht mehr weglaufen, dann hast du schon ganz viel richtig gemacht. Das schöne daran: Leise laufen geht eigentlich nur im Barfußlaufstil und am besten natürlich ohne Schuhe.

Sehr lohnenswert ist es, sich selbst einmal laufen zu sehen.

<= So laufe ich nach 3 Monaten. ++++ Und so nach 1,5 Jahren. =>

Einstieg gefunden, und dann?

Trotz Verletzungen hatte ich mich schon fest in das Ziel verbissen, barfuß laufen zu lernen. Es klappt nicht gleich? Dann erst recht! Es war aber nicht nur Verbissenheit im Spiel, es fühlte sich auch vom ersten Schritt an interessant, aufregend und abenteuerlich an. Das will ich nicht mehr missen, selbst mit sehr minimalistischen Schuhen finde ich laufen mittlerweile ein bisschen fad. Für mich es es ungefähr so, als ob ich bisher nur auf einem kleinen, kaputten Schwarzweiß-Fernseher mit schlechtem Empfang Filme gucken durfte und plötzlich eine Dauer-Freikarte fürs Kino gewonnen habe, in dem alle Filme auch laufen, aber mit Ton, auf der großen Leinwand und in Farbe.

Ich wollte nicht mehr nur auf glattem Asphalt laufen, sondern möglichst überall, im Wald, auf schwierigen Untergründen, im Rennen. Übrigens, bestimmt habt ihr schon mal die Empfehlung gehört, dass man auf keinen Fall auf harten Untergründen barfuß laufen soll. Dr. Matthias Marquardt, der mit "natural running"-Kursen, -Vorträgen und -Schuhen sein Geld verdient, stellt sogar die These auf: "Der menschliche Bewegungsapparat ist nicht für harte Untergründe gemacht". Das Gegenteil ist richtig. Aber man muss es eben lernen oder noch nie anders gemacht haben, wie Milliarden von Menschen vor uns und neben uns in weniger priviligierten Gegenden der Welt.

Es macht mir eine diebische Freude, auch im Rennen ohne Schuhe erfolgreich zu sein. Im ersten Halbmarathon habe ich mich von 1:36 auf 1:31 verbessert, den ersten Marathon bin ich von Königstein nach Dresden in 3:47 gelaufen. Ich gebe es zu, ich genieße die Aufmerksamkeit auch. Mit Schuhen ist das eine ganz solide Leistung, aber nur die ersten kriegen die Lorbeeren. Weil fast keiner barfuß läuft, weiß auch fast keiner, dass es eigentlich gar nicht so schwer ist und denken, dass das wunderswas für eine Leistung ist! Entsprechend ist die Resonanz im Läuferfeld oder im Publikum. Oder in der Presse. Es ist eigentlich ein bisschen gemein den besseren Läufern gegenüber, weil man in gewisser Weise die Regeln außer Kraft setzt. Jedenfalls solange es so wenige Barfußläufer gibt.

Endgültig am Haken, danke, Freunde!

Was mir dann so richtig den Rest geben hat, das ist die Begeisterung, der Zusammenhalt und die Anerkennung in der Community. Ich habe mich ziemlich zu Anfang schon in der Barefoot Runners Society angemeldet und bin in die BRS-Deutschland. Hier gibt es ein Forum auf Deutsch für Läufer in Deutschland.

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Unser neues Maskottchen

Erst habe ich mir das alles ein bisschen angeguckt, dann habe ich angefangen, Läufer in anderen Städten zum Laufen zu treffen und schließlich habe ich mich als Administrator für die BRS-Deutschland gemeldet. Seither sind wir stetig gewachsen und stellen immer größere Aktionen auf die Beine. Unser neuester Coup: Wir treten als Barfußläuferteam beim 24 Stunden Lauf in München an. Vielen Dank an Barefoot Mecki, der das angezettelt hat! Und beim diesjährigen Berlinmarathon sind wir auch mit mindestens fünf Barfußläufern am Start.

Eigentlich ist es das erste Mal in meinem Leben, dass ich mich einem Team oder einer Gruppe so richtig zugehörig fühle. Ich bin erst spät (Ü30) zum Sport gekommen und kannte Teamgeist mehr vom Hörensagen. Jetzt freue ich mich wahnsinnig, wenn neue Leute dazukommen, diskutiert wird und Kontakte untereinander enstehen. Am meisten aber freue ich mich, wenn man sich im richtigen Leben trifft, um zusammen zu laufen. Schade, dass TJ, die gute Seele der BRS und die Frau, die den ganzen Laden zusammenhält, so weit weg wohnt (in den USA). Sie müsste mal hier mit uns eine Runde drehen und sehen, welche Kreise das alles zieht!

Zum Schluss mein Lieblingsvideo, da kriege ich immer wieder Gänsehaut, wenn ich das sehe:

Mark Cucuzzella rennt

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